Elementarteilchen und Schwarze Löcher mit moderner Mathematik verstehen
Der Europäische Forschungsrat fördert die Erforschung eines umfassenden theoretischen Rahmens zur Vorhersage von Messergebnissen mit 10 Millionen Euro.
Was haben die Wechselwirkungen von Elementarteilchen in Beschleunigern wie dem Large Hadron Collider mit einander umkreisenden Schwarzer Löcher gemein? Die Untersuchung dieser beiden ganz unterschiedlichen Vorgänge beruht auf demselben theoretischen Konzept: Streuamplituden beschreiben die Wechselwirkungen von physikalischen Objekten und bilden die Grundlage für die Vorhersage von Messergebnissen. Die Experimente an Teilchenbeschleunigern und die Messungen der Gravitationswellen-Detektoren haben inzwischen eine sehr hohe Genauigkeit erreicht, und noch empfindlichere Messungen sind in Planung. Nun wollen Wissenschaftler*innen einen umfassenden theoretischen Rahmen schaffen, der eine effiziente Berechnung der Streuamplituden ermöglicht, um die erwarteten Messdaten vorherzusagen und zu interpretieren. Der Europäische Forschungsrat (ERC) fördert dieses Projekt über die nächsten sechs Jahre mit einem Synergy Grant in Höhe von insgesamt knapp zehn Millionen Euro. Neben dem Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik im Potsdam Science Park sind das Trinity College in Dublin, die Universität Oxford und die Universität Uppsala an dem Projekt beteiligt.
„Ziel unseres Forschungsprojekts ist es, eine einheitliche mathematische Methode zur Berechnung von Streuamplituden zu entwickeln. Bislang werden diese wichtigen Wahrscheinlichkeitsvorhersagen von Ereignissen in sehr aufwändigen Rechnungen individuell abgeleitet“, erläutert Axel Kleinschmidt, Gruppenleiter am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut, AEI) und korrespondierender Wissenschaftler des ERC Synergy Grants. „Die Messungen von Großexperimenten wie dem Large Hadron Collider oder den Gravitationswellen-Detektoren werden immer genauer. Wir brauchen neue mathematische Werkzeuge, um schnell und unkompliziert Vorhersagen über erwartete Wechselwirkungen zu treffen und damit theoretische Modelle zu bestätigen oder zu verwerfen.“
Brückenschlag zwischen Mathematik, theoretischer Physik und Experimenten
Trotz enormer weltweiter Anstrengungen während der letzten Jahrzehnte sind die Methoden zur Berechnung der hochkomplexen Streuamplituden nach wie vor uneinheitlich und fragmentiert. Das nun geförderte Projekt „Mathematik der Streuamplituden“ (engl.: Mathematics of Scattering Amplitudes (MaScAmp)) wird einen einheitlichen Rahmen für diese Berechnungen schaffen, der auf den neuesten Forschungsergebnissen der Mathematik, insbesondere der algebraischen Geometrie und der Zahlentheorie, aufbaut. Mit dem neuen mathematischen Werkzeugkasten will MaScAmp die seit langem bestehenden rechnerischen Schwierigkeiten überwinden, die theoretische Physik im Bereich der Quantenfeldtheorie, der Gravitation und der Stringtheorie erweitern und neue mathematische Forschung initiieren.
Das Projekt bringt ein wachsendes multidisziplinäres Team mit Expertise in reiner Mathematik und theoretischer Physik zusammen und wird geleitet von vier hauptverantwortlich Forschenden (Principal Investigators). Gemeinsam mit Axel Kleinschmidt vom Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik sind dies Ruth Britto vom Trinity College in Dublin, Francis Brown von der Universität Oxford, und Oliver Schlotterer von der Universität Uppsala. Das vorrangige Ziel des Projektes ist die Entwicklung neuer und effizienter algorithmischer Methoden mit Anwendungen in Mathematik, Teilchenphysik und Gravitation. „Ein weiterer wichtiger Bestandteil unserer Forschung ist die Implementierung unserer Methoden in einer breit anwendbaren Computersoftware. Damit werden Forschende zukünftig mit bislang unerreichbarer Genauigkeit Vorhersagen für Experimente machen können“, erklärt Kleinschmidt.
Bemerkenswerterweise erhält das AEI Potsdam in diesem Jahr zwei Synergy Grants (MaScAmp und GWSky). Insgesamt haben Forschende des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik bisher sechsmal Fördermittel in verschiedenen Förderlinien vom Europäischen Forschungsrat eingeworben.
Synergy Grants des Europäischen Forschungsrats
Der Europäische Forschungsrat vergibt Synergy Grants für wissenschaftlich exzellente Forschungsprojekte in einem aufwändigen und kompetitiven Auswahlverfahren. Die Förderung läuft über sechs Jahre und ist in der Regel mit maximal 10 Millionen Euro dotiert. Zusätzliche Mittel können für projektrelevante Großgeräte beantragt werden. Gefördert werden Projekte, in denen zwei bis vier hauptverantwortliche Forschende (Principal Investigators, PIs) zusammenarbeiten. In der aktuellen Auswahlrunde fördert der Europäischen Forschungsrat von 548 eingereichten Forschungsanträgen aus allen Wissenschaftsbereichen 57 Projekte. Dies entspricht einer Erfolgsquote von 10,4 Prozent.
Das MaScAmp-Projekt wird mit insgesamt 9,99 Millionen Euro gefördert, die sich die vier Gastinstitutionen teilen.