Neue Erkenntnisse durch Kombination von Schwerionen-Experimenten, Astronomie und Theorie
Das Verhalten von Neutronenstern-Materie mit mikroskopischen und makroskopischen Kollisionen untersuchen
Ein internationales Forscherteam, dem auch ein Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) und der Universität Potsdam angehört, hat erstmals Daten aus kernphysikalischen Experimenten, Gravitationswellenmessungen und anderen astronomischen Beobachtungen mit theoretischen Erkenntnissen kombiniert, um das Verhalten der dichten Materie im Inneren von Neutronensternen besser zu verstehen. Die Ergebnisse wurden heute in der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht.
Neutronensterne entstehen in Supernova-Explosionen am Ende des Lebens massereicher Sterne. Manchmal befinden sich Neutronensterne in Doppelsystemen und kollidieren schließlich miteinander. Diese hochenergetischen, astrophysikalischen Phänomene weisen so extreme Bedingungen auf, dass sie die meisten schweren Elemente – wie beispielsweise Silber und Gold – hervorbringen. Daher stellen Neutronensterne und ihre Kollisionen ein einzigartiges Labor dar, um die Eigenschaften von Materie bei Dichten weit über der von Atomkernen zu untersuchen. Teilchenbeschleuniger-Experimente mit Schwerionen-Kollisionen sind eine andere Möglichkeit, Materie bei hohen Dichten und unter extremen Bedingungen zu erzeugen und zu untersuchen
„Die Kombination von Erkenntnissen aus der theoretischen und experimentellen Kernphysik und astrophysikalischen Beobachtungen ist unerlässlich, um die Eigenschaften neutronenreicher Materie über den gesamten Dichtebereich, der in Neutronensternen vorkommt, zu verstehen“, sagt Sabrina Huth von der Technischen Universität Darmstadt, eine der Hauptautor:innen der Veröffentlichung. Peter T. H. Pang, ein weiterer Hauptautor vom Institut für Gravitations- und subatomare Physik (GRASP) der Universität Utrecht, fügte hinzu: „Wir stellen fest, dass die Teilchenbeschleuniger-Daten von Goldionen-Kollisionen eine bemerkenswerte Übereinstimmung mit astrophysikalischen Beobachtungen aufweisen, obwohl sie mit völlig anderen Methoden gewonnen wurden.“
„In den letzten Jahren haben wir genaue Modelle entwickelt, die es uns ermöglichen, die Eigenschaften der Neutronensterne aus den beobachteten Gravitationswellendaten zu extrahieren. Dies ist ein Schlüsselaspekt für eine zuverlässige Interpretation der Multi-Messenger-Ergebnisse“, sagt Tim Dietrich, Professor an der Universität Potsdam und Leiter einer Max-Planck-Fellow-Gruppe am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut).
Die jüngsten Fortschritte in der Multi-Messenger-Astronomie haben es dem internationalen Forscherteam, an dem Forschende aus Deutschland, den Niederlanden, den USA und Schweden beteiligt sind, ermöglicht, ein neues Feld zu erschließen, um das fundamentale Verständnis von Kernkräften zu verbessern und zu vervollständigen. In einer interdisziplinären Studie haben die Wissenschaftler:innen Informationen aus Schwerionenkollisionen mit astronomischen Beobachtungen elektromagnetischer Signale, Messungen von Gravitationswellen, hochleistungsfähigen astrophysikalischen Kalkulationen und theoretischen kernphysikalischen Berechnungen kombiniert. In ihrer systematischen Untersuchung werden zum ersten Mal alle diese einzelnen Disziplinen gemeinsam betrachtet.
Die Autor:innen haben die Informationen aus Goldionen-Kollisionsexperimenten, die an der GSI in Darmstadt sowie am Brookhaven National Laboratory und am Lawrence Berkeley National Laboratory in den USA durchgeführt wurden, in ihr mehrstufiges Verfahren einfließen lassen, das Messdaten aus der theoretischen Kernphysik und astrophysikalischen Beobachtungen analysiert. Dazu gehören Messungen der Masse von Neutronensternen durch Radiobeobachtungen, Informationen über schnell rotierende Neutronensterne, die im Rahmen der Mission „Neutron Star Interior Composition Explorer“ (NICER) auf der Internationalen Raumstation (ISS) gewonnen wurden, sowie Multi-Messenger-Beobachtungen von Verschmelzungen zweier Neutronensterne.
Die Methode lässt sich leicht an neue Informationen aus Laborexperimenten, astronomischen Beobachtungen oder der Theorie anpassen, um so unser Verständnis von dichter Materie in den kommenden Jahren weiter zu verbessern. Neue Gravitationswellenbeobachtungen werden ab Ende 2022 mit dem nächsten Beobachtungslauf des internationalen Detektornetzwerks möglich sein. „Wir leben in aufregenden Zeiten, in denen es möglich wird, Berechnungen und Experimente der Kernphysik direkt mit astrophysikalischen Modellen und Beobachtungen zu vergleichen. Ende diesen Jahres werden die Gravitationswellen-Detektoren ihre nächsten Beobachtungsläufe starten, und wir können auf einige weitere Multi-Messenger-Beobachtungen verschmelzender Neutronensternen hoffen. Diese Daten werden uns den Weg zu einem besseren Verständnis der extrem dichten Materie ebnen und es uns ermöglichen, interdisziplinäre Studien mit noch nie dagewesener Genauigkeit durchzuführen“, sagt Tim Dietrich.