Erfolgreicher Einsatz von Quetschlicht bei Virgo
Gravitationswellen-Observatorium bei Pisa lauscht mit Technik aus Hannover tiefer in den Kosmos
Eine von Forschern des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut; AEI) entwickelte Quetschlicht-Quelle für den Gravitationswellen-Detektor Virgo nahe Pisa hat ihre Fähigkeiten in den vergangenen Monaten beeindruckend unter Beweis gestellt. Das zeigen die jetzt veröffentlichten aktuellen Daten aus dem dritten Beobachtungslauf (O3) des internationalen Detektor-Netzwerks. Durch den Einsatz der neuen Quetschlichtquelle sinkt das dominante quantenmechanische Hintergrundrauschen des Detektors um etwa ein Drittel. Damit kann Virgo beispielsweise bis zu 26% häufiger Gravitationswellen von verschmelzenden Neutronensternen aufspüren. Auch für geplante Detektoren der dritten Generation wie das Einstein-Teleskop spielt der Einsatz von Quetschlicht eine entscheidende Rolle. Geliefert und in Betrieb genommen wurde die Quetschlichtquelle Anfang 2018. Seit Beginn von O3 am 1. April 2019 sorgt sie für eine wesentlich höhere Empfindlichkeit von Virgo.
Quantenmechanik begrenzt die Empfindlichkeit der Gravitationswellen-Observatorien
Die Empfindlichkeit der Gravitationswellen-Observatorien im heutigen internationalen Netzwerk (Advanced LIGO, Advanced Virgo, GEO600) ist in einem großen Teil ihres Messbereichs durch quantenmechanisches Hintergrundrauschen begrenzt. Grundlegend beseitigen lässt sich diese unmittelbare Konsequenz der Quantenmechanik nicht. Sogenannte Quetschlicht-Quellen, die besonders manipulierte quantenmechanische Zustände erzeugen, können das Hintergrundrauschen aber so modifizieren, dass es die Messungen weniger stört.
In Physical Review Letters veröffentlichen heute die Wissenschaftler*innen der Virgo-Kollaboration zusammen mit vier Forschern des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut) in Hannover ihre Ergebnisse zum erstmaligen sehr erfolgreichen Einsatz einer solchen Quetschlichtquelle im Virgo-Detektor. In einer parallelen Veröffentlichung in derselben Ausgabe der Fachzeitschrift berichtet die LIGO-Scientific-Kollaboration über den Einsatz von Quetschlicht in den LIGO-Detektoren.
Routine-Einsatz seit 2010 bei GEO600
„Der Einsatz von Quetschlicht ist eine Notwendigkeit zur weiteren Erhöhung der Messgenauigkeit der Gravitationswellen-Observatorien. Am deutsch-britischen GEO600-Detektor nahe Hannover kommt die Technologie seit 2010 routinemäßig zum Einsatz und ist seit Ende 2018 auf Weltrekord-Niveau in Betrieb“, sagt Henning Vahlbruch, wissenschaftlicher Mitarbeiter am AEI Hannover. Seit Beginn des dritten Beobachtungslauf am 1. April 2019 setzen auch Virgo und beide LIGO-Detektoren diese Technologie ein.
„In den derzeitigen Detektoren wirkt sich der Einsatz einer Quetschlicht-Quelle wie eine Erhöhung der Laserleistung aus, aber vollkommen ohne die dabei auftretenden Nachteile wie die verstärkte Erhitzung optischer Bauteile“, erklärt Moritz Mehmet, wissenschaftlicher Mitarbeiter am AEI Hannover. Der Einsatz von Quetschlichtquellen verringert das Hintergrundrauschen in einem Großteil des Messbereichs, so dass sich schwächere Gravitationswellen leichter beobachten lassen.
Mehr Signale durch signifikant und dauerhaft verringertes Quantenrauschen
Der basierend auf der GEO600-Quetschlichtquelle von Vahlbruch und Mehmet entwickelte Aufbau bei Virgo kam in der ersten Hälfte von O3 erfolgreich zum Einsatz. Die heute veröffentlichte Publikation beschreibt die signifikante – bis zu einem Drittel – Verringerung des Quantenrauschens in Virgo, die dadurch dauerhaft – routinemäßig während 99% der Messzeit – erreicht wurde.
Die Häufigkeit mit der Virgo Gravitationswellen-Signale verschmelzender Neutronensterne nachweisen kann, steigert sich dadurch um bis zu 26%. Während O3 wurden bislang 35 Gravitationswellen-Kandidaten von LIGO und Virgo identifiziert, darunter auch mögliche Verschmelzungen von Neutronensternen.
Die Forscher*innen der Virgo-Kollaboration und die AEI-Forscher untersuchten zudem die Faktoren, die den Einsatz der Quetschlichtquelle begrenzen. Der Aufbau speist Quantenzustände mit verringertem Rauschen – gewissermaßen eine Dunkelheit, die besser ist als die Natur normalerweise erlaubt – in den Detektor ein; die erzielte Verringerung des Detektorrauschens hängt empfindlich von den Verlusten beim diesem Einspeisen ab. Durch detaillierte Messungen zeigten die Wissenschaftler*innen, dass mit derzeitiger Technologie bei Virgo zukünftig eine Verringerung des Quantenrauschens von bis zu einem Faktor zwei erreichbar ist.
Technologie für die Zukunft der Gravitationswellen-Astronomie
Die Empfindlichkeit aller interferometrischen Gravitationswellen-Detektoren lässt sich langfristig nur durch die Verwendung von ähnlichen Quetschlichtquellen weiter steigern. „Geplante Gravitationswellen-Observatorien der dritten Generation wie das europäische Einstein-Teleskop sind auf Quetschlicht-Technologie angewiesen. Die erfolgreiche Anwendung in Virgo ist ein weiterer wichtiger Schritt in die Zukunft der Gravitationswellen-Astronomie“, erläutert Harald Lück, Gruppenleiter am AEI Hannover.