Herzlichen Glückwunsch zum 20. Geburtstag, Einstein@Home!
Das freiwillige verteilte Rechenprojekt startete an diesem Tag im Jahr 2005.
Seit dem Start von Einstein@Home am 19. Februar 2005 haben fast eine halbe Million Freiwillige aus aller Welt ungenutzte Rechenzeit auf ihren PCs und Smartphones gespendet. Das Projekt nutzt diese, um nach astrophysikalischen Signalen von rotierenden Neutronensternen – kleine, schwere und exotische Überreste explodierter Sterne – zu suchen. Einstein@Home ist eines der weltweit größten freiwilligen verteilten Rechenprojekte und eine wissenschaftliche Erfolgsgeschichte: Es hat mehr als 90 neue, teils sehr ungewöhnliche Neutronensterne anhand ihrer pulsierenden Radio- und Gammastrahlung entdeckt. Es führt zudem einige der empfindlichsten Suchen nach kontinuierlichen Gravitationswellen von unbekannten Neutronensternen in LIGO-Daten durch. Der Nachweis dieser Wellen würde ein neues astronomisches Instrument liefern, um Schwerkraft und Materie unter Extrembedingungen und die fundamentale Physik zu untersuchen.
„Ich hatte 1999 von SETI@home gelesen und dachte, dass ein freiwilliges verteiltes Rechenprojekt zur Suche nach Einsteins Gravitationswellen gut geeignet wäre, die Öffentlichkeit einzubeziehen und mehr Rechenleistung zu bekommen. Damals schien das Thema aber zu speziell zu sein, um wirklich funktionieren zu können“, sagt Bruce Allen, Direktor von Einstein@Home und Direktor am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Hannover. „Im Jahr 2004 nahm die Idee richtig Fahrt auf. Während die Amerikanische Physikalische Gesellschaft das Weltjahr der Physik vorbereitete, bot sie uns Hilfe dabei an Freiwillige zur Teilnahme an unserem Projekt Einstein@Home zu motivieren.“
Flaggschiff-Projekt
Das Projekt wurde am 19. Februar 2005 vom Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik und der University of Wisconsin-Milwaukee als Flaggschiffprogramm des Weltjahres der Physik gestartet. In dem Weltjahr wurde der hundertste Jahrestag von Einsteins Wunderjahr gefeiert. Bis zum Ende des Jahres hatten sich mehr als 90.000 Freiwillige an dem Projekt beteiligt und Rechenleistung auf ihren PCs gespendet. Bis heute haben fast eine halbe Million Menschen mitgemacht. Im Durchschnitt stellen etwa 16.000 Freiwillige auf 31.000 Computern gemeinsam eine dauerhafte Rechenleistung von 13,3 Petaflop/s (Millionen Milliarden Gleitkommaoperationen pro Sekunde) zur Verfügung.
Das langfristige Ziel des Projekts ist der Nachweis kontinuierlicher Gravitationswellen. Astronom*innen gehen davon aus, dass Neutronensterne – exotische, kompakte Überreste explodierter schwerer Sterne – diese winzigen Raumzeitwellen erzeugen können, während sie sich drehen. Der Nachweis kontinuierlicher Gravitationswellen erfordert viel Rechenleistung. Nur mit der Hilfe Zehntausender Freiwilliger aus der ganzen Welt, die einen global verteilten Supercomputer bilden, sind die umfassendsten und empfindlichsten Suchen möglich.
Die empfindlichste Suche nach kontinuierlichen Gravitationswellen

„Seit dem Start von Einstein@Home sind unsere Suchen nach kontinuierlichen Gravitationswellen von unbekannten Neutronensternen die empfindlichsten“, erklärt M. Alessandra Papa, Leiterin der dauerhaften unabhängigen Forschungsgruppe „Kontinuierliche Gravitationswellen“ am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Hannover. „Dank der effizienten Analysemethoden, die wir entwickelt haben, können wir die von unseren Freiwilligen gespendete enorme Rechenleistung, optimal nutzen. Wir suchen nach schwachen Signalen, die tief in den Gravitationswellen-Daten verborgen sind. Wir freuen uns darauf, dass bald weitere Daten veröffentlicht werden, um unsere Untersuchungen voranzutreiben.“
Seit 2009 sucht Einstein@Home außerdem nach Radiopulsaren. Diese besonderen Neutronensterne senden wie kosmische Leuchttürme regelmäßige Radiowellen-Pulse aus, die sich mit großen Radioteleskopen beobachten lassen. Im Jahr 2008 traf Bruce Allen den Vorsitzenden des PALFA-Konsortiums auf einer Konferenz. Dieses Konsortium nutzte das Arecibo-Radioteleskop für die Suche nach neuen Pulsaren. „Uns wurde schnell klar, dass wir die Rechenleistung von Einstein@Home für die Suche nach Pulsaren in Doppelsternsystemen in den Daten der Arecibo-Durchmusterung sinnvoll einsetzen konnten“, sagt Bruce Allen. „Wir wussten auch, dass es noch viele Jahre dauern würde, bis wir und unsere Freiwilligen möglicherweise endlich den ersten Nachweis von kontinuierlichen Gravitationswellen sehen würden. Die Entdeckung neuer, möglicherweise exotischer Radiopulsare würde uns alle auf dem Weg zu diesem langfristigen Ziel motivieren.“
Die Suche nach neuen Radiopulsaren

Einstein@Home widmete einen Teil seiner Rechenleistung einer Suche nach Radiopulsaren in engen Doppelsternsystemen, die in den Arecibo-Daten verborgen sind. Es dauerte nicht lange, bis das Projekt die erste Entdeckung machte: Im Sommer 2010 fand es einen neuen Radiopulsar in den Arecibo-Daten. Dies war die erste astronomische Entdeckung eines freiwilligen verteilten Rechenprojekts. Bei dem Pulsar handelte es sich um einen seltenen und ungewöhnlichen Neutronenstern. Zu diesem Zeitpunkt war nur ein Dutzend ähnliche Exemplare bekannt. „Das war ein Meilenstein für uns und unsere Freiwilligen. Er hat gezeigt, dass Bürgerwissenschaft und die Beteiligung der Öffentlichkeit in der Astronomie und anderen datenbasierten Forschungszweigen etwas bewirken können“, sagt Bruce Allen.
Seitdem hat Einstein@Home auch Daten des Murriyang-Teleskops am Parkes-Observatorium in Australien, des Green-Bank-Teleskops in den USA und des MeerKAT-Radioteleskops in Südafrika ausgewertet. Bislang wurden 55 Radiopulsare entdeckt, und es könnten noch viele weitere folgen. „Einstein@Home hat Radiopulsare in Archivdaten gefunden, die bereits viele Male gründlich analysiert wurden“, sagt Colin Clark, Gruppenleiter der Arbeitsgruppe „Pulsare“ in Allens Abteilung am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Hannover. „Deshalb erwarten wir, dass wir mit Einstein@Home in Zukunft viele weitere interessante Radiopulsare finden werden.“
Gammapulsare mit Gravitationswellen-Methoden entdecken
Im Jahr 2011 erkannten die Einstein@Home-Forschenden, dass sich die hocheffizienten Methoden, die sie für die Suche nach kontinuierlichen Gravitationswellen entwickelt hatten, für einen ganz neuen Zweck einsetzen ließen. In Zusammenarbeit mit Kolleg*innen am Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn nahmen sie sich die Analyse von Daten des Weltraumteleskops Fermi vor, das das Universum im Bereich der Gammastrahlung beobachtet. Die Datenanalyse-Methoden, mit denen bisher das schwache Pulsieren der Gammastrahlung einiger Neutronensterne aufgespürt wurde, waren zu rechenaufwändig, um weitere Entdeckungen zu machen.
Nach einigen erfolgreichen Tests und ersten Entdeckungen mit dem Großrechner Atlas am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik modifizierte und optimierte das Einstein@Home-Team die Software, so dass sie auf Zehntausenden Computern von Freiwilligen lief. Im Jahr 2013 meldete Einstein@Home die Entdeckung von vier Gammapulsaren.
In den nächsten Jahren zeigte sich das volle Entdeckungspotenzial der Einstein@Home-Analyse der Fermi-Daten. Einstein@Home-Freiwillige halfen dabei, 39 bisher unbekannte Gammapulsare zu finden. Das entspricht etwa einem Achtel aller bekannten Gammapulsare.

„Einer der großen Vorteile der enormen kollektiven Rechenleistung von Einstein@Home besteht darin, dass wir damit bis an die Grenzen des Möglichen gehen und Entdeckungen machen können, die sonst unmöglich wären“, sagt Colin Clark. „Wir haben jahrealte Rätsel gelöst, einen auf dem Präsentierteller versteckten Pulsar gefunden, den ersten Millisekunden-Pulsar, der nur im Gammalicht sichtbar ist, und einen rekordverdächtigen ‚Spinnenpulsar‘, der seinen leichten Begleiter verdampft.“
Verteiltes Rechnen und verteiltes Denken
Im Jahr 2023 schloss sich Einstein@Home mit Zooniverse, einem erfolgreichen Webportal für Bürgerwissenschaften, zusammen. Das Projekt „Einstein@Home: Pulsar Seekers“ schult Freiwillige der Zooniverse-Plattform darin, neue Pulsare zu identifizieren, indem sie sich grafische Darstellungen der Einstein@Home-Suchergebnisse ansehen. Mehr als 3.500 Freiwillige haben so bereits fast eine halbe Million Pulsarkandidaten klassifiziert. Sie haben 16 mögliche neue Radiopulsare gefunden. „Wir analysieren derzeit sorgfältig die Bestätigungsbeobachtungen der 16 Pulsarkandidaten, die mit den empfindlichsten Radioteleskopen der Welt gemacht wurden“, sagt Bruce Allen. „Ich gehe davon aus, dass zumindest einige von ihnen echt sind. Ich kann es kaum erwarten, mehr über die neuesten Entdeckungen zu erfahren, die wir dank der Freiwilligen gemacht haben.“
Schritt für Schritt zum direkten Nachweis kontinuierlicher Gravitationswellen
Mit zunehmender Empfindlichkeit der Gravitationswellen-Detektoren rückt die erste direkte Beobachtung von kontinuierlichen Gravitationswellen mit Einstein@Home näher. Ihre Entdeckung könnte eine verborgene Population von Neutronensternen in unserer Milchstraße enthüllen und neue Erkenntnisse über Materie und Schwerkraft unter Extrembedingungen liefern. Kontinuierliche Gravitationswellen könnten auch von Wolken dunkler Materie um rotierende Schwarze Löcher oder von einander umrundenden Paaren leichter (primordialer) Schwarzer Löcher stammen, die kurz nach dem Urknall entstanden sind.
„Ich bin sehr gespannt auf die Zukunft. Die Entdeckung von kontinuierlichen Gravitationswellen wäre allein schon ein wichtiger Meilenstein“, sagt M. Alessandra Papa. „Wenn die kontinuierlichen Wellen aber von Wolken dunkler Materie um Schwarze Löcher oder von Paaren primordialer Schwarzer Löcher stammen, hätte das enorme Bedeutung für die fundamentale Physik.“