Können Strings auch Teilchen sein?
Konferenz „Integrability in Gauge and String Theory“ vom 24. bis 28. Juli 2006 am AEI
Die Suche der Physiker nach einer umfassenden vereinheitlichten Theorie stößt bei dem Versuch, Gravitation und Quantentheorie unter einen Hut zu bringen, auf eine harte konzeptionelle und mathematische Grenze. Überwunden werden soll sie mit Hilfe der Stringtheorie.
Die Stringtheorie ist die wichtigste Kandidatin für eine Theorie, die Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie mit der Quantenmechanik und dem Standardmodell der Elementarteilchen vereint. Sie basiert auf der Annahme, die kleinsten Bausteine der Materie seien eindimensionale Fäden (Strings). Wie Saiten, die zum Schwingen gebracht, verschiedene Töne erzeugen, entsprechen die Schwingungen der Strings den verschiedenen Elementarteilchen.
„Offen bleibt allerdings die Frage, was genau ein String wirklich ist“, so Matthias Staudacher, Stringtheoretiker am MPI für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut, AEI) und einer der Organisatoren der Konferenz. „Diskutiert wird derzeit, ob Strings aus Teilchen aufgebaut sein können und umgekehrt. Unklar ist auch noch, wie diese Teilchen aussehen könnten.“ Dabei wird immer deutlicher, dass eine von Hans Bethe bereits in der Entstehungszeit der Quantenmechanik entwickelte mathematische Methode – der „Betheansatz“ – eine entscheidende Rolle bei der Untersuchung von String- und Teilchenmodellen spielt.
1928 führte Heisenberg die so genannten „Spinketten“ in die theoretische Physik ein. 1931 entdeckte Hans Bethe, dass diese eindimensionalen Modelle für Metalle exakt lösbar sind. Dieser „Betheansatz“ geht also direkt auf die Entstehungsphase der Quantenmechanik zurück. Er spielt seither eine wichtige Rolle für das mathematische Verständnis komplizierter physikalischer Phänomene, wie etwa der Hochtemperatursupraleitung, der Theorie von Defekten in Festkörpern und des Quantenhalleffekts. In den vergangenen vier Jahren wurde entdeckt, dass Bethes mathematische Methode auch im Falle bestimmter String- und Teilchenmodelle greift und diese sich damit äußerst effizient untersuchen lassen.
„Besonders erfreulich ist, dass ein Großteil der aktuellen Entdeckungen durch die erfolgreiche Zusammenarbeit in Europa arbeitender Physiker erfolgte, und dass die Investitionen der EU in europäische Forschungsnetzwerke erkennbare Früchte tragen“, so Matthias Staudacher.
Stringtheorien – Was genau ist ein String?
sind die momentan weltweit bevorzugten Modelle, um zu der Klärung einer der "letzten Fragen" der fundamentalen Physik zu gelangen: Wie genau vereinigt man Einsteins Relativitätstheorie mit der Quantenmechanik und dem Standardmodell der Elementarteilchen? Diese Vereinigung wird prinzipiell durch die Strings erreicht, aber die genaue Definition dieser Theorien bleibt mysteriös. Auch die Frage, was genau ein String wirklich ist, bleibt offen. Um dem Geheimnis der Strings näher zu kommen, ist es sinnvoll, ihre Bewegung in einer im Vergleich zur realen Welt hochgradig idealisierten Umgebung zu studieren. Eine besonders symmetrische und mathematisch geeignete Umgebung basiert auf dem gekrümmten Anti-de Sitter Raum (AdS), der auch in kosmologischen Modellen eine wichtige Rolle spielt. Vor knapp zehn Jahren wurde die erstaunliche Vermutung aufgestellt, dass in diesem Fall eine duale Beschreibung durch ein bestimmtes supersymmetrisches Teilchenmodell möglich sei. Können also, im Rahmen dieser "AdS/CFTKorrespondenz" genannten Dualität, Strings auch Teilchen sein und umgekehrt?
Diese Teilchentheorie, die "maximal supersymmetrische Eichtheorie", ist wiederum eine idealisierte Version genau derjenigen Theorien, die das so erfolgreiche, experimentell mit großer Genauigkeit überprüfte Standardmodell der Elementarteilchen ausmachen. Existiert ein Zusammenhang mit den Strings, so ergeben sich daher mannigfaltige Möglichkeiten unser großes Wissen in der Teilchenphysik zu nutzen, um den Strings auf die Spuren zu kommen. Umgekehrt darf man aber auch hoffen, mit Hilfe der Strings neue Untersuchungsmethoden für die mathematisch äußerst komplizierten Teilchentheorien, und insbesondere für die Theorie der starken Kernkräfte, zu entwickeln. Denn: Trotz der großen Erfolge bei der Berechnung der experimentellen Konsequenzen des Standardmodells bleiben derzeit noch viele Fragen offen, bei denen die bisher zur Verfügung stehenden mathematischen Methoden vollkommen versagen.
Die aktuellen Forschungsarbeiten der Stringtheoretiker werden möglicherweise auch wesentliche Beiträge zur Auswertung der Experimente am LHC (Large Hadron Collider) leisten, der voraussichtlich 2008 in Genf in Betrieb gehen und 2009 erste Ergebnisse liefern wird.
Der „Betheansatz“ in Stringtheorie und Teilchenphysik
Die Entdeckung von Bethes integrablen Strukturen in diesem Spannungsfeld zwischen Strings und Teilchen ist daher ein unerwartetes Geschenk, und die Konferenz am Albert-Einstein-Institut setzt sich zum Ziel, die Konsequenzen der daraus entstehenden neuen Rechenmethoden interdisziplinär zu nutzen. Insbesondere darf man sich nun für die nahe Zukunft einen konstruktiven Beweis der AdS/CFT Korrespondenz erhoffen, mit den bereits erwähnten Auswirkungen für unser Verständnis der fundamentalen Interpretation der Strings, sowie für die Entwicklung neuer quantitativer Methoden zur Analyse der theoretischen Bauteile des Standardmodells der Elementarteilchenphysik. Zudem ist es nicht ausgeschlossen, dass die Entdeckung von Bethes lösbaren Strukturen im Bereich der Hochenergiephysik auch letztlich wieder der Festkörperphysik zugute kommt. Ein Grund für diese Hoffnung sind äußerst subtile und schöne, aus der String- und Eichtheorie stammende Symmetrien, die bisher in der Theorie der Festkörper übersehen wurden.
Internationale Zusammenarbeit/Europäisches Netzwerke zur Stringtheorie
Das im Rahmen der Konferenz am AEI diskutierte Fachgebiet ist ein herausragendes Beispiel für exzellente Grundlagenforschung in Europa: Die neuartige Anwendbarkeit des „Betheansatzes“ wird über die Fachgrenzen hinweg vor allem in europäischen Kollaborationen erforscht – sie sind weltweit federführend auf diesem Gebiet. An den formellen und informellen Forschungsnetzwerken sind neben dem Potsdamer AEI unter anderem die Universität Uppsala/Schweden, die ENS Paris/Frankreich, die Universidad Autonoma Madrid/Spanien, das Niels Bohr Institut Kopenhagen/Dänemark sowie die Universität Krakau/Polen beteiligt. Die Bedeutung dieses dynamischen Forschungsfeldes wird auch von Seiten der Europäischen Union unterstrichen: Sie fördert unter anderem die Netzwerke „Superstring Theory“ und „Forces Universe“, die insbesondere der Ausbildung von Nachwuchswissenschaftlern (Doktoranden und Postdoktoranden) auf diesem spannenden Forschungsfeld dienen. Nichtsdestoweniger nehmen an der Potsdamer Konferenz selbstverständlich auch führende amerikanische Theoretiker teil, wie etwa der „Stringguru“ Joseph Polchinski aus Santa Barbara (Kalifornien) und Nikolai Reshetikhin (Berkeley/Kalifornien, Humboldtpreisträger und derzeit Gastwissenschaftler am AEI).